7 schmerzhafte Wahrheiten, die dir keiner über den Jakobsweg erzählt

Die dir aber dennoch deinen Jakobsweg erleichtern können

Der Jakobsweg ist ein Geschenk für jeden der ihn laufen kann. Durch das Pilgern hast du die Chance bei dir selbst anzukommen. Nicht selten wird die Sehnsucht nach einer Auszeit vor allem in Umbruchphasen des Lebens immer stärker. Und oft spielt dabei der Wunsch, den Jakobsweg zu gehen, eine starke Rolle.

Was jedoch wenig berichtet wird, ist die Tatsache, dass der Camino auch sehr mühsam sein kann. In diesem Beitrag erfährst du 7 schmerzhafte Wahrheiten und was du daraus für dich lernen kannst bevor du deinen Jakobsweg gehst.

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DARÜBER NACHZUDENKEN UND ES DANN TATSÄCHLICH ZU TUN, SIND ZWEI VÖLLIG UNTERSCHIEDLICHE WELTEN.

Wenn du also mit dem Gedanken spielst, den Jakobsweg zu laufen und dir das auch in allen Farben ausgemalt hast, so ist es dennoch etwas völlig anderes, wenn du dich dann auf den Weg machst.

Wenn du ankommst und die erste Übernachtung tätigst und dann deinen Jakobsweg losläufst.

Natürlich wusste ich ungefähr, was mich auf dem Camino Frances erwartet und das 800 Kilometer am Stück zu laufen etwas ist, dass ich bisher noch nie getan hatte. Das war mir natürlich am Anfang schon klar.

Was es dann aber tatsächlich bedeutete, als ich am zweiten Tag gleich mal deutlich über meine Grenzen ging und von morgens bis abends gelaufen bin mit einem riesen Rucksack, das konnte ich mir im Vorhinein nicht ausmalen.

Das war mir zuhause natürlich nicht klar in der Vorbereitung.

Und natürlich kommen dann nach ein paar Tagen des Laufens und der Eingewöhnung auch die Momente, wo man sich frägt:

Warum tue ich mir das überhaupt an?

Meinen dritten Tag, den werde ich auch nie vergessen. Eine sehr schmerzhafte Wahrheit:

Ich bin 30 km gelaufen und war völlig am Ende! Ich habe dafür einen ganzen Tag gebraucht! Und als ich am Abend nachgeschaut hatte, wie Kilometer waren es eigentlich? Da wurde mir schlagartig bewusst, dass ich diese Strecke mit dem Auto naja, vielleicht in 20 Minuten gefahren wäre. Und das tat richtig weh.

Also diese Frage:

„Warum tue ich mir das an?“

wird irgendwann im Laufe des Camino wahrscheinlich auch auf dich zukommen. Oder auch die Frage:

„Warum habe ich meinen Urlaub für den Jakobsweg aufgehoben?“

Wo ich doch jetzt schön am Meer liegen könnte, im Liegestuhl oder auf meinem Handtuch die Sonne genießen könnte.

Deshalb denke daran: Darüber nachzudenken und es dann tatsächlich zu tun, sind zwei völlig unterschiedliche Welten!

DER JAKOBSWEG IST NICHT IMMER LANDSCHAFTLICH REIZVOLL

Auch wenn ich am Anfang gedacht hatte, was für ein wunderbarer Weg das ist. – Er führt durch unberührte Natur, durch Wälder, durch Wiesen, durch Felder und ab und zu mal durch ein kleines mittelalterliches Dörfchen.

Dann wurde ich spätestens bei der ersten Großstadt eines Besseren belehrt.

schmerzhafte Wahrheit Industriezone

Manchmal zieht sich der Weg zäh wie Kaugummi an einer viel befahrenen Straße entlang durch die Industriezonen der Vorstädte. Und es ist wirklich nicht immer ein Genuss, auf diesen Wegen zu laufen.

Auch der Weg entlang der Autobahn, der sich immer wieder um die Autobahn schlängelt, ist alles andere als landschaftlich reizvoll.

Eine schmerzhafte Wahrheit:

Spätestens dann, wenn man Wegstrecken sehr nah an der Nationalstraße laufen muss und die dicken LKWs an einem vorbei donnern, der Windzug einen fast umhaut, dann weiß man, dass der Jakobsweg nicht immer landschaftlich reizvoll ist.

SCHMERZHAFTE WAHRHEIT: MAN TRÄGT ZWEI RUCKSÄCKE

Auf dem Jakobsweg trägt man zwei Rucksäcke. Einen sichtbaren und einen unsichtbaren Rucksack.

Nun, der sichtbare Rucksack war bei mir so, dass ich mit 18 Kilo Gepäck begonnen hatte und bei 18 Kilo Gepäck kannst du dir vorstellen, dass das auf die Dauer nicht wirklich gut gehen kann.

Es ist unglaublich viel und unglaublich ermüdend. Es geht auf die Knochen, auf die Bänder und man hat nach 2-3 Tagen die Einsicht, dass es zu viel ist. Und ich hatte nach 2-3 Tagen die Einsicht ok, das ist zu viel Gepäck.

Ich muss etwas loswerden und habe dann ein Teil meines Gepäcks in einen Karton gepackt und in Pamplona von der Post nach Hause geschickt.

Diesen Rucksack kennst du sicher auch und vor allen Dingen hast du die Möglichkeit, im Vorfeld durch geschicktes Packen und Abwägen dein Gewicht von vornherein deutlich zu reduzieren.

Der zweite Rucksack ist der unsichtbare, der subtile Rucksack.

Er trägt deine Gedanken, trägt deine Sorgen und Nöte, die dich entlang des Weges begleiten. Entweder die, die du von zuhause mitgebracht hast, oder auch die, die unterwegs dazukommen.

Also denke daran, man trägt zwei Rucksäcke, einen sichtbaren und einen unsichtbaren.

DU BIST NICHT, WAS DU BESITZT.

Auf dem Jakobsweg ist es nicht wichtig was du zu Hause hast, welchen Job du hast, wieviel Geld du besitzt. Welche weiteren Besitztümer du hast.

Auf dem Jakobsweg bist du ein Pilger. Einer unter vielen. Und die ersten Fragen lauten:

Wie heißt du?

Woher kommst du?

Warum bist du auf den Jakobsweg gekommen?

Und am Ende sind es immer die Begegnungen mit den Menschen, die in Erinnerung bleiben. Und das ist eine schöne Wahrheit.

SCHMERZHAFTE WAHRHEIT: EINE KLETTE GEHÖRT NICHT IMMER ZUR „FAMILIE DER KORBBLÜTLER“.

Also das, was ich auf dem Jakobsweg in diesem Punkt erlebt habe, möchte ich dir gleich mal mitteilen und ich könnte mir vorstellen, dass du die ein oder andere Situation in ähnlicher Weise schon einmal selbst erlebt hast. Auf dem Jakobsweg ist das immer möglich:

Ich hatte unterwegs eine kleine Mittagspause gemacht und bin am Wegesrand auch eingeschlafen.

Das war nicht besonders schlimm, denn ich hatte sowieso eine Mittagspause vor und die ging jetzt halt etwas länger.

Und als ich aufwachte, erschrak ich plötzlich fürchterlich, denn direkt neben mir lag ein anderer Pilger, der ebenfalls sich dort eine Pause gegönnt hatte.

Wie er dort hinkam ohne dass ich es bemerkte war mir schleierhaft. Und als ich mir den Rucksack anschalte und weitergehen wollte, hatte auch der Pilger neben mir seinen Rucksack aufgenommen und sich vorgestellt. Hallo! (Und übrigens der Name ist geändert).

schmerzhafte Wahrheit Klette

„Hallo, ich bin Marc und komme aus Belgien“. Ich sagte zu ihm „Hallo“, ich bin Peter und komme aus Deutschland. „Ah ja, das freut mich“.

Und in wunderbarem Deutsch erzählte er mir seine Geschichte. Und zwar nicht irgendeine Geschichte, sondern seine Lebensgeschichte. Das ging den ganzen Nachmittag und am Abend in der Pilger Herberge erzählte er weiter.

Am nächsten Morgen stand ich um 6 Uhr auf. Marc zufälligerweise ebenfalls und so frühstückten wir gemeinsam und liefen los.

Die bis dahin einmalige Ruhe am Vormittag war jetzt plötzlich vorbei. Und mein Pilger Kollege freute sich immer noch, dass er weitererzählen konnte und erzählen und erzählen konnte.

Über den eigenen Schatten springen

Und nach dem dritten Tag in dieser Folge begannen sich bei mir gewisse Abwehrreaktionen zu zeigen:

Indem ich langsamer lief – Mac lief auch langsamer!

Indem ich schneller lief- Marc lief auch schneller!

Indem ich eine Pause machte, kurz nachdem wir vorher schon eine Pause gemacht hatten – Marc wollte ebenfalls eine Pause.

Und am Ende musste ich ihm sagen:

„Lieber Marc, Ich möchte jetzt alleine weiterlaufen! Bitte verstehe mich. Ich brauche Ruhe.“

Es hatte mich sehr viel Überwindung gekostet. Ich musste über meinen Schatten springen und (vermeindlich) unhöflich sein.

Marc war etwas irritiert, denn er hatte drei Tage lang einen sehr guten Pilger Kollegen bei sich gehabt, nämlich mich, und konnte das gar nicht wirklich verstehen.

Eine sehr schmerzhafte Wahrheit:

Manche Menschen werden einfach nicht zu dir passen!

Und das kann auch auf dem Jakobsweg passieren. Deswegen ist es gut, da offen zu sein und dem Pilger zu sagen, dass du lieber alleine weiterlaufen möchtest. Und das ist dann auch völlig in Ordnung.

IM WAHRSTEN SINNE DES WORTES: SCHMERZHAFTE WAHRHEITEN.

Du hast auf dem Jakobsweg einen dauerhaften Wegbegleiter: Das ist die körperliche Erschöpfung.

Tja, das sind nicht immer nur die Blasen an den Füßen. Und jetzt weiß ich nicht, wie appetitlich das ist. Vielleicht erzähle ich die Geschichte und mache sie kurz: Man kann auch einen blauen Zehennagel bekommen und das passiert dann, wenn du zu Hause vergessen hast, deine Fußnägel zu schneiden.

Es ist der Alptraum einer jeden Fusspilgerin und eines jeden Fusspilgers:

Mit blutunterlaufenem Zehennagel an den Füßen nicht mehr weiter wissen.

Ich kenne das.

Mir erging es genau so.

Und das nur, weil ich vor der Reise KEINEN Tipp bekommen hatte, eine Nagelschere zu benutzen!

schmerzhafte Wahrheit Zehennagel

Also, es ist tatsächlich eine von mir wirklich ernst gemeinte Empfehlung: Bevor du auf den Jakobsweg gehst, schneide deine Zehennägel kurz.

Das hatte ich nicht getan.

Ich habe es einfach vergessen.

Und als ich auf dem Camino Aragones den ersten Tag von Somport Richtung Jaca ging, den ganzen Tag bergab, hatte ich am Abend wirklich einen blauen Zehennagel.

Das wurde jeden Tag schlimmer. Schmerzlich und unangenehm. – Ich kürze jetzt die Geschichte ab: Zuhause hatte ich dann keinen Zehennagel mehr! Und es hat ungefähr 12 Monate gedauert, bis er wieder nachgewachsen ist.

Eine sehr schmerzhafte Wahrheit.

Wenn du dir diese schmerzhafte Erfahrung ersparen möchtest, schneide deine Zehennägel bevor du auf deinen Jakobsweg gehst.

Eine weitere schmerzhafte Wahrheit:

Ehrgeiz schützt nicht vor Erschöpfung.

Ich hatte auf dem Camino Aragones, Tagestemperaturen von 40, 41, 42 Grad. Ich schaff das schon, auch ohne zu viel Wasser mit mir herumzuschleppen.-

Es ist ein Riesenfehler, wenn man zu wenig Wasser oder zu wenig Trinken mitnimmt. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich voller Erschöpfung einen wirklichen langen Mittagsschlaf hielt und zwar mitten in einem Kieferwäldchen.

In der Pampa bin ich eingeschlafen und bin erst am Abend wieder aufgewacht. Mit Mühe konnte ich mich zur nächsten Herberge schleppen.

 Meine Empfehlung : Nimm immer genügend zu trinken mit!

DER EIGENTLICHE WEG BEGINNT ERST NACH DEM CAMINO.

Auch das, glaube ich, hast du schon einmal gehört von mir.

Das ist tatsächlich so:

Der Weg beginnt erst, wenn du nach Hause kommst.

Nach deinem Jakobsweg.

Es passieren mehrere Dinge.

.

schmerzhafte Wahrheit genervt

Das Erste ist, deine Freunde sind neugierig und wollen wissen, wie es war. Du erzählst und erzählst und merkst gar nicht, dass die Freunde immer weniger werden und am Ende dir keiner mehr zuhört.

Das kann nach ein paar Tagen schon so sein. Das kann aber auch nach ein paar Wochen so sein.

Der zweite Effekt, der nach dem Camino immer wieder passieren kann, ist, dass du selbst in ein Loch fällst.

Dass du die Sehnsucht nach der Einfachheit und nach der Ruhe in dir trägst und in deinem Alltag nicht wirklich zurechtkommst. Dann kann ich dir empfehlen, den Blog-Beitrag Fernweh zu lesen, den ich dir in den Shownotes auch verlinke.

So, das waren die sieben schmerzhaften Wahrheiten, die dir keiner über den Jakobsweg erzählt, die aber dennoch dein Leben besser machen können.

Ich wünsche dir, dass dir diese Tipps weiterhelfen können, wenn du dich auf deinen Jakobsweg vorbereitest.

Wenn auch du mehr über den Jakobsweg erfahren möchtest, um dich vorzubereiten oder deine nächste Reise planen möchtest, dann werde jetzt Teil der kostenlosen Jakobsweg-Community.

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Welche schmerzhaften Wahrheiten hast du für dich auf dem Jakobsweg erlebt?

schreibe sie einfach hier in die Kommentare, ich freue mich sehr darüber.

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17 Gedanken zu „7 schmerzhafte Wahrheiten, die dir keiner über den Jakobsweg erzählt“

  1. Hallo miteinander,
    für mich ist die schmerzhafteste Wahrheit im Moment, dass ich den Camino für mich persönlich, so dringend bräuchte wie niemals zuvor, als Zeit für mich, vielleicht auch als kurzfristige Flucht, aber leider wird mir jeden Tag bewusster, meine Pläne für dieses Jahr, werden wohl nicht in Erfüllung gehen…
    Ich bin wirklich zu tiefst traurig darüber und das schmerzt mich mehr als die begleitschmerzen auf dem Camino selbst, die wurden immer entlohnt, mit Impressionen, Freude und positiver Erkenntnis…

    Grüße Peter

    Antworten
    • Lieber Peter,
      ja, im Moment ist die momentane Situation für fast alle eine riesige Geduldsprobe. Dennoch bin ich überzeugt, dass es auch wieder besser und gut wird. Anders gut, aber auch besser. Vielleicht lassen sich deine PLäne auch im Laufe des Jahres trotzdem verwirklichen. Und manchmal können wir erst später erkennen wozu es gut war. Vielleicht hilft uns die derzeitige Außnahmesituation zu lernen, auch stärker im „hier und jetzt“ zu sein. Anzuerkennen, dass wir keine langfristigen Pläne schmieden können. Vielleicht kann das auch ein Glück sein, jeden neuen Tag als einen kleinen Schritt gut zu gestalten, so gut es eben geht.

      Ich wünsche dir, dass du deine Traurigkeit aushalten kannst und ein kleines Stückchen Hoffnung pflanzten kannst. Es wird besser werden- und anders gut.

      Buen Camino
      Peter

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  2. Ich habe mir beim Abstieg vom Monte Irago auf dem steilen, steinigen Weg ganz furchtbar das Kreuz verrissen und konnte mich nur mit Mühe und Hilfe anderer Pilger nach El Acebo schleppen. Dort hat mich ein Heilmasseur ein wenig aufgerichtet, dass ich mich mühsam nach nach Ponferaba ins nächste Krankenhaus quälen konnte. Dort wurde ein Lumbago festgestellt und ich habe ein paar Spritzen und Schmerzmittel bekommen. Laut Ärztin sollte ich entweder das Pilgern abbrechen oder zumindest ein paar Tage Pause machen. Mich hat aber Santiago de Compostela so stark gerufen, dass ich am nächsten Tag mit Schmerzmitteln weiter gegangen bin. Je näher ich nach Santiago gekommen bin, desto weniger Schmerzen hatte ich und desto glücklicher wurde ich. Ich bin überzeugt ich hatte Hilfe von oben!

    Antworten
    • Lieber Ronald,
      vielen Dank, dass du uns an deinem Erlebnis teilhaben lässt. Manche Dinge auf dem Jakobsweg sind unerklärbar und lassen uns erkennen, dass es noch etwas Größeres gibt als unseren Verstand. Die Hilfe von Oben begegnet uns auch immer wieder in unseren Mitmenschen. Manchmal ganz unauffällig. Sie überwältigt und läßt Dankbarkeit wachsen. Das Glück und die Kraft die vom Ankommen in Santiago ausgeht kann uns über viele Jahre hinweg begleiten.
      Buen Camino
      Peter

      Antworten
  3. Lieber Peter
    Nachdem ich jetzt schon während einigen Jahren Mitglied bin im Buen Camino Club, Deine Kommentare lese und mich Deiner Seiten bediene, will ich jetzt nicht länger schweigen, sondern auch einmal (m)einen konstruktiven Beitrag leisten. Die Aufforderung, schmerzliche Wahrheiten auf dem Jakobsweg mitzuteilen, hat mich dazu angehalten Dir endlich mal zu schreiben. Zuerst danke ich Dir für die wertvollen und interessanten Informationen, welche ich von Dir regelmässig erhalte. Ich bin zwar nicht sehr häufig, aber doch ab und zu auf Deinen Seiten, lese und höre Kommentare oder geniesse Bilder, welche meine eigenen Erinnerungen aufleben lassen.
    Ich bin meinen Camino 2016 gegangen, an 1 Stück. Gestartet bin ich am 13. März in Arles, habe in rund 40 Tagen Frankreich durchquert bis zum Somport-Pass und bin danach in weiteren rund 40 Tagen bis nach Santiago gepilgert. Weitere 3 Etappen habe ich dann angehängt bis ans „Ende der Welt“. Diese für mich wohl wertvollste Erfahrung meines Lebens möchte ich nicht mehr missen! Ich habe so Vieles erlebt und durchlebt, so viele Begegnungen gehabt in diesen fast 3 Monaten, wo ich von zu Hause weg war! Ich kann jedem und jeder nur empfehlen, einmal im Leben den Camino zu gehen!
    Nun zu meiner (nebst Blasen und eiskaltem Wetter) schmerzlichsten Erfahrung: Auf der Voie d’Arles bzw der Via Tolosana war ich meist der einzige Pilger unterwegs, habe lediglich ab und zu Mitpilger/innen auf dem Weg oder andere Wandervögel in den Herbergen angetroffen. Auf dem Camino Aragonés vom Somportpass bis nach Obanos waren wir eine kleine Pilgerfamilie: ich war mit 3 Spaniern, einem deutschen Ehepaar und 1 Französin unterwegs, jede/r in seinem/ihrem eigenen Tempo; aber dann haben wir uns am Abend jeweils in derselben Unterkunft wieder getroffen und beim gemeinsamen gemütlichen Abendessen von unseren Tageserlebnissen erzählt. Da ich verschiedene Sprachen beherrsche, kam mir jeweils die Rolle des Übersetzers zu. Ich habe mich total wohl und gut aufgehoben gefühlt in „meiner kleinen Pilgerfamilie“ und habe mich auch immer darauf gefreut, alle in der Herberge am Abend wiederzutreffen.
    Und jetzt die schmerzliche Erfahrung: ich war darauf eingestellt – dass rund 100 km vor Santiago, ab Sarria, wohl sehr viele (vorwiegend spanische) Pilgern unterwegs sein würden, aber dass diese MASSEN mir schon ab Pamplona begegnen würden, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet! Man stelle sich vor: gemütliches Pilgern, wochenlang und völlig alleine, nur ich und die Natur, dann einige Tage Pilgern in einer kleinen sympathischen Gruppe, und plötzlich von einem Tag auf den anderen siehst du vor und hinter dir vor lauter Rucksäcken den Weg nicht mehr! Auch dass du nun neu bereits am Vortag oder dann spätestens am frühen Morgen die Herberge für den Abend reservieren musstest – was haben denn Vorreservationen mit Pilgern zu tun?? – das hat mir völlig abgelöscht, und ich wollte gleich wieder umkehren! Ich überlegte mir, denselben Weg wieder zu zurück gehen und hätte das wohl auch getan. Zum Glück jedoch begleitete mich mein spanischer Caminofreund Fernando – mit ihm habe ich bis heute regelmässigen Kontakt! – der mir Mut machte und meinte, dass ich mein grossartiges Projekt doch jetzt nicht einfach aufgeben könne. Ich müsse weitergehen und solle mich nicht entmutigen lassen! Fernandos Rat habe ich befolgt, und habe es nicht bereut: trotz der Pilgermassen bin ich meinen Weg nach Santiago gegangen, hatte dabei viele eindrückliche Begegnungen mit Menschen oder Landschaften und habe mich dann sogar mit einigen dieser englisch sprechenden „Rucksacktouristen“ angefreundet… Aber diese schmerzliche Erfahrung vergesse ich nie mehr: sollte ich je noch einmal den Camino Francés gehen, so bin ich jetzt vorgewarnt und mit dieser Einstallung wird das Ganze dann wohl nicht mehr so schlimm sein wie damals.
    Ich freue mich auf weitere Zeichen von Dir und grüsse Dich herzlich aus der (völlig verschneiten) Schweiz
    BEAT

    Antworten
    • Hallo Beat,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar, ich freue mich über dein Feedback und deinen Erlebnisbericht. Das war für dich sicher eine grandiose Pilgerung durch Frankreich. Ja, das Ankommen auf dem Camino Frances war dann schon etwas ganz anderes. Während in Frankreich die Pilger-Infrastruktur noch sehr dünn ist, wird auf dem Camino Frances alles deutlich stärker organisiert. Auch die Frequenz in Spanien ist sicher nicht zu vergleichen. Deshalb finde ich es sehr schön, dass du deinen Camino dennoch zuende gegangen bist.

      Viele Grüße in die verschneite Schweiz
      Buen Camino
      Peter

      Antworten
  4. Lieber Peter,
    mit ist es auf meiner Pilgerreise passiert, anfangs, in den ersten Tagen, dass ich zu wenig Wasser und Proviant dabei hatte, weil ich dachte, ich kann unterwegs jederzeit etwas kaufen. Dem war nicht so, denn ich war im Winter unterwegs, wo fast alle Gastronomie geschlossen war. Ich habe dadurch gelernt, besser auf meine Bedürfnisse achtzugeben.
    Ein weiteres Problem war, dass ich mich in den ersten zwei Wochen nicht wirklich entspannen und erholen konnte. Ich habe mich irgendwie gehetzt gefühlt. Das lag auch daran, dass ich einfach mit niemand reden und nur meine Ruhe haben wollte, aber es auch nicht fertig brachte, zu anderen Pilgern zu sagen: „Lass mich allein laufen, ich will nicht reden!“ Da ging es mir so ähnlich wie Dir mit dem Belgier. Irgendwann kam der Punkt, dass ich es gesagt habe, dass ich allein sein will. Ab da ging es besser.
    Für mich gab es auf meiner Reise einen entscheidenden Wendepunkt. Wie jeder andere Pilger hatte ich auf den Camino eine Menge Fragen und Probleme von zu Hause mitgebracht. Aber ich hatte keine Lust, darüber zu grübeln, denn ich wollte nicht über komplizierte Dinge nachdenken, sondern entspannen. Ein Mitpilger, der schon drei Monate unterwegs war, sagte mir: „Die Antworten kommen erst zu Hause!! Lass die Gedanken frei laufen. Sie springen hin und her, aber am Ende wirst Du doch über alles nachgedacht haben, was für Dich wichtig ist. Zwinge Deine Gedanken nicht!“. Das habe ich dann gemacht und ich habe mich endlich frei und unbeschwert geführt. Und tatsächlich – als ich wieder zu Hause war, sind nach und nach alle meine Fragen, wie von selbst, beantwortet worden. Nicht sofort, aber nach und nach.
    Liebe Grüße, Beate

    Antworten
    • Liebe Beate,
      herzlichen Dank für deinen ausführlichen Einblick in deinen persönlichen Camino und danke, dass du uns an deinen Erfahrungen teilhaben läßt. Ein sehr schönes Bild finde ich „die Antworten kommen zuhause“. Das nimmt auch den Druck, unbedingt auf dem Jakobsweg eine Antwort finden zu wollen. Wenn es eine gibt, dann ist es gut. Wenn nicht, eben später.

      Buen Camino
      Peter

      Antworten
  5. Lieber Peter
    ich lese mit Vergnügen und oft auch mit ein wenig Wehmut deine Blogs. Manchmal muss ich laut lachen, manchmal versinke ich in Erinnerungen. Ich bin 2016 von zu Hause (Schweiz) nach Santiago gelaufen. Am Anfang traf ich nur wenige Pilger auf der Strecke. Die waren oft mit grossen Rucksäcken und (für mich) schnellen Tempo unterwegs. Ich nannte sie ein wenig neidisch Hi-Speed-Pilger. Ich dachte, ich sei der langsamste Pilger auf Gottes Erde und habe mich gepuscht und bin weiter und schneller gelaufen. Bis ich nach Genf nach ca 20 Tagen einfach nicht mehr konnte. Ich war müde und alles tat mir so weh, dass ich ans Aufhören dachte. An dem Morgen, an dem ich fast abbrach, begegnete ich einem französischen älteren Fahrradfahrer. Der Mann hielt neben mir und fragte mich ob ich auf dem Pilgerweg sei. Ich bejahte. Da meinte er, das hätte er auch gemacht und es sei sehr schön. Ich antwortete, es sei vielleicht schon schön, aber auch sehr anstrengend und schmerzhaft. Nein, nein, sagte er, wenn es zu streng und zu schmerzhaft ist, dann läufst du zu schnell und zu weit. Laufe ganz langsam und du wirst sehen, es wird schön.Von da an lernte ich auf meinen Körper zu hören, langsam zu laufen und mich nicht mehr mit anderen zu vergleichen.Und es wurde schön und ich kam bis nach Santiago.

    Antworten
    • Lieber Patrik,
      Herzlichen Dank, dass du uns an deinem Erlebnis teilhaben lässt. Das ist eine sehr schöne Motivation: „Wenn es zu schmerzhaft ist, läufst du zu schnell“. Das läßt sich auch sehr gut auf das LEben allgemein übertragen. Schön, dass dir das geholfen hat in Santiago anzukommen.

      Buen Camino
      Peter

      Antworten
    • Lieber Patrick
      Ich bin nun in Genf. Seit dem 22.2.22 zu Fuss von Zürich unterwegs alleine. Es geht mir einigermassen gut. Doch ich schleiche manchmal nur so dahin, da mir die Achillessehne weh tut. Wenn ich vereinzelte Wanderer sehe, ich weiss nicht ob es Pilgerer sind, die lachend und leicht flüssig dahin schweben, komme ich mir vor wie eine alte Dame. Na jetzt geht über die Grenze, aber ein bisschen Bammel hab ich schon.
      Danke es war schön deinen Bericht zu lesen.
      Sonja Daprela

      Antworten
  6. Hallo Peter,
    ich freue mich allumfassend über die Webseite. Vielen vielen Dank gerade in dieser Zeit. Hoffentlich können wir, die „Pilgerfamilie“, in diesem Jahr wieder gehen/pilgern.
    LG
    Manfred

    Antworten
    • Lieber Manfred,
      Herzlichen Dank, ich freue mich dass dir die Seite so gut gefällt. Auch ich hoffe, dass wir vielleicht im Sommer/Herbst den Camino wieder gehen können.
      Buen Camino
      Peter

      Antworten
  7. Lieber Peter

    Immer wieder lese ich gerne die Beiträge auf deiner Website. Diese empfehle ich jeweils auch Bekannten von mir, die erwägen, auf einen der Jakobswege zu gehen, zur Vorbereitung.

    Eine interessante Erfahrung, die ich auf meinem Camino (Konstanz -Santiago d.C.) gemacht habe, war diese: In Frankreich hatte ich plötzlich den Eindruck, in der Weite der Landschaft verloren zu gehen. Es beunruhigte mich keineswegs, mich unbedeutend und klein zu fühlen. Es war egal, ob es mich gibt, ich schaute in die Weite der Landschaft und fühlte mich enorm leicht und als Teil von ihr (befand mich damals in Trennung von meiner Frau und das Getrenntsein von meinen 3 Töchtern liess mein Herz bluten). Irgendwann, in der Region St-Chély d‘Aubrac, ich ging einen schmalen Weg durch mannshohen Farn, kam das Gefühl auf „da bin ich wieder – hallo, wie geht es?“ Ich war bei mir angekommen und konnte die Situation annehmen, wie sie war. Erst später zuhause wurde mir bewusst, dass dies eine spirituelle Erfahrung war, die ich gemacht hatte – das eigene Ich wurde unwichtig, ich liess mich auf das ein, was kommen würde, und die ungewisse Zukunft beunruhigte mich nicht länger. Es wendete sich alles zum Guten, trotz Scheidung und Hausverkauf, der folgte. Die Töchter sind mittlerweile erwachsen und gehen ihre eigenen Wege, die älteste war im November 2021 auf dem spanischen Camino und konnte mir vergeben, als sie beim Cruz de Ferro war, dass ich es nicht mehr ausgehalten hatte in der Beziehung mit meiner Ex-Frau. Bin mit meiner jetzigen Frau (eine der wenigen Menschen aus der Türkei auf diesem Weg) regelmässig auf Caminos unterwegs. Unsere Seelen sind mit diesem (Lebens-)Weg verbunden.

    Herzliche Grüsse

    Manfred J.

    Antworten
    • Lieber Manfred,
      Herzlichen Dank dass du uns an deinen persönlichen Erfahrungen teilhaben lässt. Du hast die Begegnung mit dir selbst so schön beschrieben dass es keine weiteren Worte bedarf.
      Es ist eine so wertvolle Erfahrung mit sich selbst Frieden schließen zu dürfen um das Neue mit offenem Herzen begrüßen zu können. Das ist eines der wertvollsten Momente in unserem Leben.
      Buen Camino
      Peter

      Antworten
  8. Hallo,
    Ich bin gerade meinen letzten Tag auf dem Camino in Cahors (ich bin in Cluny losgelaufen und wollte eigentlich ganz bis nach Santiago) bevor ich meine Reise hier leider beenden muss. Ich habe eine Sehnenscheidenentzündung bekommen die leider trotz allen Tipps, Medikamenten und Pausen-Tagen nicht besser geworden ist. Jetzt bin ich in der Misere dass ich unbedingt unter keinen Umständen aufhören wollte wegen so etwas blödem wie einer Sehnenscheidenentzündung doch ohne Schmerzmittel komme ich keine 5 km weit und dass das Weiterlaufen ja auch Langzeitfolgen haben würde weiß ich auch. Mein Herz tut trotzdem unfassbar weh bei dem Gedanken den Camino hier verlassen zu müssen weil (bis zu der Entzündung) eine wunderschöne Zeit hatte. Ich weiß dass ich immer wieder zurück kommen kann und wahrscheinlich auch werde aber jetzt in den Zug zu steigen wo ich doch noch so viel vor mir hatte ist ein sehr schwerer Schritt und die Umstellung von 5 Wochen des Pilgerlebens auf mein normales trubeliges Leben wird sicher auch nicht einfach. Ich spiele immer noch mit dem Gedanken mein Zugticket wieder zu stornieren und doch weiter zu laufen obwohl mein Verstand weiß dass das absolut unvernünftig wäre. Es fühlt sich nur einfach sehr falsch an jetzt aufzuhören…

    Antworten
    • Liebe Anna-Maria,
      Ein Gedanke: Du sagst, du hast Zeit eingeplant um bis nach Santiago zu gehen. Dann könntest du ja auch erstmal eine Woche pausieren und wenn es dann tatsächlich nichtmehr geht, kannst du eine zweite Ruhewoche anhängen. Natürlich kann ich das nicht wirklich einschätzen.
      Ich wünsche dir eine gute Entscheidung.

      p.s. kennst du schon die neue Jakobsweg-Lebensweg Community?
      Dort sind schon sehr viele Pilgerinnen und Pilger die sich gegenseitig unterstützen. Vielleicht gibt es dort weitere Ideen für dich:

      https://www.skool.com/jakobsweg-lebensweg-1076?invite=27f9b167228e4586969b26c9e5d5a18a
      Buen Camino
      Peter

      Antworten

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