Tom Kirchner

Camino Inglés und Finisterre – Pilgern ans Ende der Welt mit Tom Kirchner

Tom Kirchner Finisterre und Camino Ingles
Pilgern auf dem Jakobsweg ist eine Reise zu sich selbst – aber was passiert, wenn der Weg nicht am traditionellen Ziel in Santiago endet, sondern weiterführt, bis ans „Ende der Welt“? Der Camino Inglés und die Strecke nach Finisterre bieten genau diese Möglichkeit. Es ist eine weniger bekannte, aber umso faszinierendere Route, die Pilger aus dem Alltag reißt und auf eine spirituelle Entdeckungsreise schickt.
Tom Kirchner, erfahrener Pilger und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, nimmt uns mit auf dieses besondere Abenteuer. Er berichtet von verborgenen Pfaden, der rauen Küste Galiciens und den Momenten, die nur jene erleben, die den Mut haben, weiterzugehen, auch wenn das Ziel schon erreicht scheint.
Was macht diese Route so einzigartig? Und wie verändert sie den Blick auf das Pilgern? Begleite uns auf einer Reise, die weit über den Jakobsweg hinausgeht.

Hinweis:

Hinweis: Tom Kirchner hält am 29. Oktober 2024 um 19.00 Uhr einen Vortrag über den Jakobsweg an der VHS Ratingen. Nähere Infos zum Vortrag in Ratingen

passende Podcastfolge hierzu:

Pilgern auf dem Camino Inglés und nach Finisterre: Eine Reise ans Ende der Welt

Der Jakobsweg ist mehr als nur eine Wanderung – er ist eine spirituelle Reise, eine Reise zu sich selbst. In diesem ausführlichen Bericht erzählt Tom Kirchner von seinen Erfahrungen auf dem Camino Inglés und dem Weg nach Finisterre. Diese beiden Routen haben ihn durch die beeindruckende Landschaft Galiziens geführt und ihm tiefgehende spirituelle Erlebnisse beschert. Der Weg endete am „Ende der Welt“, doch in vielerlei Hinsicht war dies nur der Anfang einer neuen Reise.

Der Entschluss, den Camino Inglés zu gehen

Ein Ruf, dem man folgen muss

Es war im Frühjahr, als Tom das Bedürfnis verspürte, wieder auf den Jakobsweg zu gehen. Dabei war es nicht nur ein Zufall oder eine spontane Entscheidung. In seiner Stadt fiel ihm ein Pilgerweg auf, der durch Laternenaufkleber mit der gelben Jakobsmuschel markiert war. Es war, als würde der Weg zu ihm „sprechen“ und ihn auffordern, wieder die Wanderschuhe zu schnüren.

„Es klingt vielleicht verrückt für jemanden, der noch nie unterwegs gewesen ist, aber ich hatte tatsächlich diese Stimme im Ohr, die mir zuflüsterte: ‚Willst du nicht wiederkommen?’“

Dieser innere Ruf führte letztendlich zur Entscheidung, den Camino Inglés zu gehen. Die Route ist kürzer als andere Jakobswege und bietet die Möglichkeit, von Santiago aus weiter nach Finisterre zu pilgern – ein besonderer Anreiz, den Tom nicht widerstehen konnte.

Die Vorbereitung: Training im Alltag integrieren

Da Tom im Ruhrgebiet lebt, wo es keine Berge gibt, musste er kreativ werden, um sich körperlich vorzubereiten. Er begann, alltägliche Gelegenheiten für das Training zu nutzen. Sein Ziel war es, seine Fitness kontinuierlich zu steigern, um den Anforderungen des Caminos gewachsen zu sein.

  • Tägliche Spaziergänge: Mindestens 10 Kilometer täglich wurden zu seiner Routine.
  • Treppen als „Ersatz-Berge“: Er suchte sich Treppen in seiner Umgebung aus, die er mehrmals hinauf- und hinunterstieg. Eine Treppe hatte 92 Stufen, eine andere 102 – beide wurden zu wichtigen Trainingspartnern.
  • Steigerung des Trainingsumfangs: Drei Monate vor dem Camino begann er, auch mit Rucksack zu trainieren, um sich an das zusätzliche Gewicht zu gewöhnen.

„Es zahlt sich aus, wenn man schon vor dem Camino eine gewisse Grundkondition hat. Das hilft nicht nur den Muskeln, sondern auch der mentalen Einstellung.“

Der Start in Ferrol: Auf den Spuren der historischen Pilger

Der Ursprung des Camino Inglés

Tom Kirchner auf dem Camino Ingles

Der Camino Inglés hat seinen Ursprung im Mittelalter, als Pilger aus England, den Niederlanden und anderen Ländern Nordeuropas per Schiff nach Spanien kamen, um nach Santiago de Compostela zu pilgern. Die Route beginnt traditionell in Ferrol, einem Hafen in Nordwestspanien, und führt etwa 120 Kilometer durch die hügelige Landschaft Galiziens.

Tom startete seine Reise an genau dem Ort, an dem auch die mittelalterlichen Pilger von Bord gingen. Für ihn hatte dieser historische Zusammenhang eine besondere Bedeutung, und er beschloss, seine Pilgerreise symbolisch am Hafen zu beginnen, wo einst die Schiffe anlegten.

„Der Camino Inglés beginnt für mich dort, wo die Geschichte atmet – am Hafen von Ferrol. Es ist ein besonderer Moment, an diesem Ort zu stehen und zu wissen, dass vor Jahrhunderten Pilger denselben Weg eingeschlagen haben.“

Die ersten Schritte: Der Weg beginnt

Nachdem Tom eine Nacht in einem kleinen Hotel in Ferrol verbracht hatte, machte er sich auf den Weg. Bereits früh am Morgen spürte er die besondere Atmosphäre des Caminos: Die Straßen waren noch ruhig, und das Licht des frühen Tages legte sich sanft über die Stadt.

Camino Ingles Tom Kirchner

Die ersten Kilometer führten durch die Stadt und an der Küste entlang. Der Geruch des Meeres, das Rauschen der Wellen und die frische Luft vermittelten ein Gefühl von Freiheit und Neuanfang.

  • Die Landschaft Galiziens: Wälder aus Eukalyptusbäumen, kleine Dörfer und sanfte Hügel prägten das Bild der ersten Etappen.
  • Abgeschiedenheit und Ruhe: Im Gegensatz zu den bekannteren Jakobswegen ist der Camino Inglés weniger frequentiert, was den Weg zu einem idealen Ort für stille Einkehr macht.

Tom beschreibt die besondere Stimmung auf dem Camino Inglés als eine Mischung aus Abenteuer und Reflexion. Das Gehen selbst wird zur Meditation, und die Stille der Natur schafft Raum für innere Einkehr.

Die Ankunft in Santiago: Magie und Erleichterung

Santiago – mehr als nur ein Ziel

Für viele Pilger ist die Ankunft in Santiago de Compostela der Höhepunkt ihrer Reise. Doch für Tom, der bereits mehrere Male in Santiago angekommen war, stellte sich die Frage, ob sich das Gefühl beim erneuten Erreichen der Stadt verändert hatte. Diesmal empfand er Santiago zunächst als Zwischenziel auf seinem Weg nach Finisterre.

„Ich hatte nicht die gleiche Aufregung wie bei meinem ersten Mal. Es war eher eine Etappe auf dem Weg.“

Doch als er den Platz vor der Kathedrale betrat, erfasste ihn ein unbeschreibliches Gefühl der Freude und Erleichterung. Es war, als hätte die Stadt ihn erneut willkommen geheißen und ihm gezeigt, dass jeder Camino ein eigenes Erlebnis ist.

Die besondere Atmosphäre des Platzes vor der Kathedrale

Tom Kirchner Santiago de Compostela

Tom beschreibt den Platz vor der Kathedrale als einen der magischsten Orte der Welt. Pilger feiern ihre Ankunft auf vielfältige Weise: Einige lehnen sich an ihre Rucksäcke und genießen die Ruhe, andere jubeln laut oder umarmen sich. Für viele ist es der Moment, in dem die körperliche Anstrengung der letzten Tage und Wochen zu einer tiefen, emotionalen Erfahrung wird.

„Der Platz vor der Kathedrale ist wahrscheinlich der Ort auf der Welt, an dem es die meisten glücklichen Menschen gibt.“

Die Ankunft in Santiago war für Tom ein Moment des Innehaltens, bevor er sich auf den letzten Abschnitt seiner Reise machte.

Weiter nach Finisterre: Ein Weg, der über das Ende hinausgeht

Der Ruf des Caminos: Warum Tom weiterging

Camino a Finisterre

Tom hatte von Anfang an die Option offengelassen, von Santiago aus nach Finisterre weiterzugehen. Er wollte jedoch erst vor Ort entscheiden, ob er diese zusätzliche Strecke wirklich auf sich nehmen würde. Es war letztlich ein innerer Impuls, der ihn weiterführte.

„Es war, als hätte der Camino zu mir gesprochen und gesagt: ‚Du bist noch nicht fertig. Lauf weiter.’“

Dieser Drang, den Weg fortzusetzen, ist für viele Pilger eine tiefere Metapher für das Leben selbst. Es geht darum, über die Grenzen hinauszugehen und neue Erfahrungen zu suchen, auch wenn das eigentliche Ziel schon erreicht scheint.

Die Herausforderungen und Schönheiten des Weges nach Finisterre

Der Weg nach Finisterre ist anspruchsvoll und führt durch hügeliges Gelände, oft abseits größerer Städte. Für Tom waren die landschaftlichen und klimatischen Herausforderungen Teil der Faszination:

  • Naturgewalten: „Man ist dem Willen der Natur unterworfen. Ob Sonne oder Regen – man muss sich anpassen und weitermachen.“
  • Wunderbare Ausblicke: Der erste Blick auf den Atlantik war für Tom ein ganz besonderes Erlebnis, das er als „unbeschreiblich schön“ bezeichnete.

Der Weg nach Finisterre bot ihm die Möglichkeit, noch einmal tief in die Natur einzutauchen und die spirituelle Dimension des Pilgerns intensiver zu erleben. Es war nicht nur ein Gehen, sondern ein sich Einlassen auf die Elemente und das eigene Innere.

Finisterre: Ankunft am Ende der Welt

Ein Ort voller Symbolik

Finisterre galt im Mittelalter als das „Ende der Welt“. Die Vorstellung, dass das Meer hier das Ende der Erde markierte, verleiht diesem Ort eine besondere Aura. Die Pilgerreise bis zu diesem Punkt hat eine lange Tradition, und viele Pilger sehen es als die Vollendung ihres Jakobswegs an.

Camino Ingles und Finisterre

Tom entschied sich, den Leuchtturm bei Sonnenaufgang zu besuchen, um die Ruhe und die Schönheit des Moments für sich alleine zu genießen. Der Anblick des Ozeans und das Gefühl, wirklich am äußersten Rand des Kontinents zu stehen, hinterließen einen tiefen Eindruck.

„Am Ende der Welt zu stehen und den Sonnenaufgang zu erleben, ist ein einzigartiger Augenblick. Es ist, als wäre man der einzige Mensch auf diesem Planeten.“

Sonnenaufgang vs. Sonnenuntergang: Warum der Morgenmagie hat

Während viele Pilger den Sonnenuntergang in Finisterre bevorzugen, um den Tag mit einem beeindruckenden Naturereignis ausklingen zu lassen, hat Tom bewusst den Sonnenaufgang gewählt. Der Morgen bringt eine Stille und Einsamkeit mit sich, die den Ort noch magischer erscheinen lässt. Der Sonnenaufgang symbolisiert zugleich einen neuen Anfang und das Ende einer langen Reise.

Tom Kirchner vor Sonnenaufgang Finisterre

  • Ein Moment der inneren Ruhe: Der frühe Morgen bietet die Möglichkeit, ganz bei sich selbst zu sein und die Welt in ihrer reinsten Form zu erleben.
  • Die Farben des Himmels: Von tiefem Blau zu leuchtendem Orange und Rot – der Sonnenaufgang war für Tom eines der intensivsten Erlebnisse auf dem gesamten Camino.

Die Begegnungen auf dem Camino: Menschen, die bleiben

Unvergessliche Begegnungen

Einer der schönsten Aspekte des Pilgerns sind die Begegnungen mit anderen Menschen. Für Tom waren es vor allem die unerwarteten Momente, die ihm in Erinnerung blieben.

  1. Die ältere Dame mit den deutschen Wurzeln: Als Tom sich einmal auf dem Weg verlaufen hatte, rief ihm eine ältere Dame zu und wies ihm den richtigen Weg. Sie erzählte ihm, dass sie viele Jahre in Deutschland gelebt hatte und freute sich, mit ihm Deutsch sprechen zu können. Diese Begegnung, so klein sie auch war, hinterließ bei ihm einen bleibenden Eindruck.
  2. Die Kerze für eine kranke Freundin: Tom trug eine Kerze im Rucksack, die er für eine schwerkranke Freundin anzünden wollte. Als er endlich eine offene Kirche fand, half ihm ein älterer Mann, den richtigen Ort zu finden, und Tom war überwältigt von den Emotionen dieses Augenblicks.

„Solche Begegnungen machen den Camino aus. Es sind die kleinen Momente, die das Herz berühren und einem das Gefühl geben, dass man auf dem richtigen Weg ist.“

Begegnungen mit sich selbst

Nicht nur die Begegnungen mit anderen Menschen waren prägend. Tom beschreibt, wie er auf dem Camino auch sich selbst begegnete. Die langen Stunden des Gehens, das Alleinsein und die Stille führten zu einer tiefen Reflexion über sein eigenes Leben, seine Werte und seine Ziele. Das Pilgern wurde so zu einer Form der Meditation, in der sich Gedanken klärten und neue Einsichten auftauchten.

Die spirituelle Dimension des Pilgerns

Glaube jenseits der Religionen

Für Tom ist die Spiritualität des Camino eine wichtige Erfahrung. Obwohl er keiner Religionsgemeinschaft mehr angehört, empfindet er eine tiefe Verbindung zu einer universellen Kraft, die er auf dem Jakobsweg spürt. Diese Kraft sieht er in der Natur, den Begegnungen und in den Momenten der Einsamkeit.

„Ich glaube, dass es etwas Höheres gibt, das uns leitet. Doch ich brauche keine Kirche, um diese Verbindung zu spüren.“

Sein Glaube hat sich im Laufe seiner Pilgerreisen weiterentwickelt, und er beschreibt den Camino als eine spirituelle Schule, die ihn jedes Mal verändert und wachsen lässt.

Die Natur als spiritueller Lehrer

Der Jakobsweg bietet eine einzigartige Gelegenheit, die Natur intensiv zu erleben. Die wechselnden Landschaften, die frische Luft und die Abgeschiedenheit fördern eine tiefe Achtsamkeit.

  • Bewusstes Atmen und Gehen: „Auf dem Camino wird selbst das Atmen zu einer bewussten Handlung. Man ist im Moment und spürt das Leben auf eine ganz neue Art.“
  • Die Elemente spüren: Ob Sonne, Regen oder Wind – auf dem Jakobsweg ist man den Naturgewalten ausgesetzt. Dies fördert eine tiefe Dankbarkeit für einfache Dinge wie Schutz und Wärme.

Tipps für Pilger auf dem Camino Inglés und nach Finisterre

Körperliche Vorbereitung

  • Regelmäßige Spaziergänge: Beginne mindestens drei Monate vorher, täglich zu gehen. Steigere die Streckenlänge langsam, um den Körper an die Belastung zu gewöhnen.
  • Treppen steigen: Wenn es in deiner Gegend keine Berge gibt, nutze Treppen als Trainingseinheit.
  • Training mit Gepäck: Einen Monat vor dem Camino solltest du anfangen, mit Rucksack zu trainieren.

Praktische Tipps für den Camino

  • Wähle die passende Jahreszeit: Der Frühling und der Herbst sind ideale Zeiten, um den Camino Inglés zu gehen, da die Temperaturen angenehm sind.
  • Packe leicht, aber vollständig: Ein gut gepackter Rucksack ist das A und O. Vergiss nicht, Regenkleidung einzupacken, da das Wetter in Galizien oft unvorhersehbar ist.
  • Sei offen für Begegnungen: Die Menschen, die du auf dem Weg triffst, können deine Reise bereichern. Sei offen und lass dich auf Gespräche ein.

Ein besonderes Erlebnis: Der Sonnenaufgang in Finisterre

  • Gehe früh los: Wenn du den Sonnenaufgang in Finisterre erleben möchtest, verlasse die Stadt rechtzeitig. Die letzten Kilometer zum Leuchtturm sind in völliger Dunkelheit zu bewältigen, was das Erlebnis intensiviert.
  • Nimm dir Zeit für dich selbst: Genieße die Stille und die Einsamkeit, bevor andere Pilger eintreffen.

Der Camino Inglés und der Weg nach Finisterre sind mehr als nur eine Wanderung. Sie sind eine Einladung, über das Leben nachzudenken, die eigene Spiritualität zu entdecken und den Mut zu finden, weiterzugehen – selbst wenn das Ziel erreicht scheint. Toms Erfahrungen zeigen, dass der Camino nicht endet, wenn man Santiago oder Finisterre erreicht. Vielmehr beginnt hier eine Reise, die im Inneren fortgeführt wird.

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