Trauer verarbeiten auf dem Jakobsweg

Kann man Trauer verarbeiten auf dem Jakobsweg?

Fragt man Pilger nach ihrer Motivation warum sie den Jakobsweg gelaufen sind oder laufen möchten, kommt häufig auch die Antwort: „einen Verlust verarbeiten zu wollen“. Hierüber hat Pilgerin Simone Ganz einen wertvollen Gastbeitrag für euch geschrieben.

ergänzend auch die Podcastfolge anhören:

Die Motivation den Jakobsweg zu laufen ist so vielfältig wie wir Menschen selbst.

Wahrscheinlich steckt hinter jedem Aufbruch etwas von:

  • Seinem Leben eine neue Richtung zu geben
  • Zu Sich selbst finden
  • Auf ungeklärte Fragen Antworten finden

DIE TRAUER IM GEPÄCK

Wanderer Trauer verarbeiten

Oftmals kann auch ein herber Verlust, eine Krise oder der Tod eines nahestehenden Menschen der Auslöser sein, sich auf den Weg zu begeben. Verknüpft mit der Hoffnung, die Traurigkeit, Hilflosigkeit oder Perspektivlosigkeit auf dem Weg zu lassen, loszulassen und etwas leichter zurückzukommen.

Wieder neuen Lebensmut zu finden, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen ist gerade in dieser Zeit eine große Herausforderung.

Das sich Aufmachen ins Unbekannte, reduziert auf das Notwendigste, die Einfachheit, Stille und die Natur können hierbei helfen, der Trauer Raum zu geben.  Außerdem kann die Trauer – auf eine andere Art und Weise als im Alltag- voll und ganz wahrgenommen nehmen.

Meist wandern wir dann los mit viel zu viel Gepäck, sei es im Äußeren wie im Innern. Ballast, den wir schon nach wenigen Kilometern körperlich spüren. Gerade am Anfang des Weges werden wir mit unserem Körper konfrontiert.

Der Rucksack liegt schwer und übermächtig auf unseren Schultern. Die Beine und Füße werden schwer, bis zur Herberge dauert es doch länger als gedacht. Hunger und Durst überkommt uns, es regnet vielleicht und wir laufen frierend und durchnässt durch den Matsch, alleine.

INNERER SCHMERZ SPÜREN

Trauer verarbeiten Schmerzen

All das sind körperliche Erfahrungen, bei denen wir uns selbst wieder spüren. Der körperliche Schmerz, das Unbehagen nimmt zu und kann uns so eine Brücke sein zu unserem inneren Schmerz, den wir bis dahin vielleicht nicht zulassen wollten oder konnten.

Am Anfang kommt uns unser Rucksack meist unendlich schwer und lästig vor, doch je länger wir gehen Schritt für Schritt in unserem eignen Rhythmus, umso leichter wird er und wird ein Teil von uns.

Gerade die täglichen Abläufe auf dem Jakobsweg wie: früh aufstehen, Rucksack packen, frühstücken, loslaufen, andere Pilger auf dem Weg treffen, nicht wissend ob ich sie nochmals wieder sehe. 

Pausen machen, Auftanken, zur nächsten Pilgerherberge laufen, Duschen, Essen alleine oder mit anderen Pilgern, Erschöpfung, Schlafen können sehr hilfreich sein um die Trauer zu verarbeiten.

Dieser alltägliche Rhythmus in Verbindung mit dem stetigen Gehen hilft uns, den Kopf frei zu bekommen und die auftauchenden Gefühle zuzulassen.

Die Aufmerksamkeit auf die kleinen schönen Dinge zu richten und uns daran zu erfreuen.

TRÄNEN DÜRFEN GEWEINT WERDEN

Es kann auch Momente geben, in denen uns der Verstorbene ganz nah ist, wir eine tiefe Verbundenheit spüren.

In einem Regenbogen, einem Schmetterling, der uns ein Stück des Weges begleitet, das Wolkenspiel können für uns Zeichen sein für seine Präsenz und der herbe Verlust tritt deutlich zu Tage.

Dieses oft aufwühlende Gefühlschaos schwankend zwischen tiefer Traurigkeit, Verbundenheit, Liebe, Erinnerungen, Einsamkeit kann sich im Gehen zeigen.

Die Tränen dürfen geweint werden, sie dürfen ungehemmt fließen bis sie von selbst wieder trocknen und genauso kann das Lachen und die Freude in vielen Momenten auftauchen.

JAKOBSWEG ALS KRAFTQUELLE, UM DIE TRAUER ZU VERÄNDERN

Trauer verarbeiten Kraftquelle

Trauer wirkt enorm auf den Körper ein und belastet das ganze System, vor allem wenn diese unterdrückt werden muss, um funktionieren zu können. Deshalb braucht es Kraft und Stärke, körperlich als auch mental, um diesen Gefühlen standhalten zu können.

Diese Kraft kann der Jakobsweg schenken.

Gerade auch dann, wenn das gesteckte Ziel erreicht wurde, kann dies die Motivation stärken wieder einen Sinn im Leben für sich zu finden, die eigene Kraft in sich zu spüren.

Am Ende des Weges ist die Last geringer, sie ist nicht weg, aber man weiß sie besser zu tragen, besser mit ihr umzugehen.

Diese Möglichkeiten kann das Gehen auf dem Jakobsweg in dieser schwierigen Situation eröffnen.

EIN PERSÖNLICHES RITUAL

Trauer verarbeiten Ritual

Manche Pilger nehmen etwas von dem Verstorbenen mit auf dem Weg, um es an einer bestimmten Stelle auf dem Weg, in O Cebreiro am Cruz de Hierro, in Santiago oder Finisterre abzulegen – loszulassen. Auch dies kann ein sehr unterstützendes Ritual sein, um die Trauer zu verändern.

TRAUER: WANN WIRD ES BESSER?

Wann wird es besser, fragen sich Viele. So individuell wie die Menschen sind, so individuell ist der Umgang mit Trauer. Jeder hat seine eigene Art die Trauer zu verarbeiten. Für Manche kann eine Trauerbegleitung hilfreich sein.

Auch möchte ich Sie herzlich einladen zu meinen kostenlosen Trostgedanken. Dabei begleite ich Sie ein Jahr mit Wochen-Impulsen. Sie bekommen 52 Wochen einen Trostgedanken zugesendet. Dieser kann Sie darin unterstützen, für sich und Ihre Gefühle Raum und Zeit zu finden.

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie für sich einen Weg finden mit Ihrer Trauer zu leben und das Leben für Sie wieder ein gutes Leben wird, anders gut. Hierbei kann ich Sie auch gerne ein Stück begleiten.

Herzlichst,

Ihre Simone Ganz

über die Autorin:

Durch die Trauer Simone Ganz

Simone Ganz hat ihre Kindheit in Freiburg verbracht, Jura studiert und vier Jahre als Rechtsanwältin gearbeitet.

Durch den Tod ihr nahestehender Menschen und durch andere tiefgreifende Verluste hat sie erfahren, was Trauerarbeit bedeutet und wie hilfreich es ist, wenn jemand diesen Prozess begleitet.

Simone Ganz ist geprüfte Psychologische Beraterin (VFP), Systemische Coachin, Trauerbegleiterin und ehrenamtliche Hospizbegleiterin.

Webseite von Simone Ganz: Durch-die-Trauer.de

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20 Gedanken zu „Trauer verarbeiten auf dem Jakobsweg“

  1. Hallo Simone;
    besten Dank für Deine Gedanken!
    Wir können sie voll bestätigen!
    Wir haben vor 13,5 Jahren unseren damals 29-jährigen Aik-David durch ein Fremdverschulden im Straßenverkehr verloren (nachdem wir 1974 schon unseren Kai-Joshua durch Nachlässigkeit in der DDR/Geburtsklinik verloren hatten)
    Seit 2006 pilgern wir jährlich auf dem verschiedenen Caminos in Portugal/Spanien.

    Der jährliche Camino ist die einzige wirkliche Kraftquelle für uns, weil wir dort wieder vereint sind.

    Ultreia 👣👣👣

    Die Peregrinos Bruno & Olga aus Freiberg/Sachsen👫

    Antworten
    • Liebe Olga, lieber Bruno,
      herzlichen Dank für eure Offenheit. Es gibt keine wirklich tröstenden Worte für das, was euch widerfahren ist- zwei Kinder zu verlieren.

      Und dieser Verlust wird auch immer bleiben, beide sind weiterhin Teil eures Lebens. Und doch habt ihr für euch gemeinsam einen Weg – im wahrsten Sinne des Wortes- gefunden. Das ist eine unglaubliche Leistung von euch!

      Es ist schön, dass der Jakobsweg eure Kraftquelle geworden ist, ihr gerade dort eure Verbundenheit so spüren und leben könnt – wieder vereint seid.
      Ich wünsche euch von Herzen weiterhin diese Kraft und diese besonderen Momente.

      buen camino
      Simone

      Antworten
  2. Ich kann mich sehr mit den Ausführungen von Simone identifizieren. Fast alles von dem was sie sagt habe ich auch auf dem camino so empfunden.
    ultreia und buen camino
    VG
    Gerd

    Antworten
  3. Dieser Artikel hat mich sehr berührt und meine Emotionen in eine Lage versetzt, die ich glaubte, schon überstanden zu haben.Man lernt in solchen Situationen , wie wenig man doch sein Innerstes überhaupt begreift. Mittlerweile aber
    lasse ich “ Ihm “ freien Lauf und fühle mich danach befreit .Trotz alle dem bin ich oft im Friedwald und halte Zwiesprache
    mit meiner lieben Frau, die nach 50 Jahren einen anderen Weg gehen musste.
    Der Artikel hat auf mich gewirkt wie ein “ Reaktionsbeschleuniger „, meine Pilgerfahrt im Frühjahr 2020 zu realisieren.
    Herzlichen Dank dafür ………………../G.Kahl

    Antworten
    • Lieber Gerhard Kahl,
      Danke für Ihre berührenden Worte und Offenheit.
      Ja es gibt immer wieder Auslöser, die uns ganz tief in das Gefühl, in die Trauer bringen. Das ist auch in Ordnung. Es ist sehr mutig von Ihnen Ihren Gefühlen diesen Raum zu geben und die Befreiung zuzulassen. Die Verbundenheit und Nähe zu Ihrer Frau immer wieder aufzusuchen, ist hierfür so heilsam.

      Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie auf Ihrer Pilgerfahrt im Frühjahr das für sich finden, was Ihnen gut tut.

      buen camino
      Simone

      Antworten
  4. Losgelaufen oder gepilgert bin ich eigentlich um den Tod meines Sohnes Niels zu verarbeiten. Sein Tod hat mir die Beine weg gehauen, mich aus der Bahn geworfen und mein Leben völlig verändert.
    In der Nacht wo Niels starb wurde ich gegen 2:30 Uhr wach, völlig durchgeschwitzt, Unwohlsein, Angstzustände… ohne zu wissen was los ist. Ich dachte erst ich werde krank. Um 18:00 rief mich meine Tochter an…. Niels ist tot … ich wurde also in seiner Todesstunde wach, ich hatte es gespürt ohne zu wissen das Niels gerade starb. Auch das hat mein Weltbild komplett verändert. Das man das spüren kann… ich hatte bis dahin so etwas für Blödsinn gehalten… bis dahin! Tja, was soll ich davon halten?
    Aber , er ist nun nicht mehr hier, und ich muss damit klarkommen. Egal wie. Ich wurde ( und werde ) von Schuldgefühlen geplagt, hätte ich es verhindern können? Hätte ich seine Suizidgedanken nicht merken müssen? Usw.
    Nun lief ich ja schon eine Weile auf den Camino, und inzwischen hatten sich meine Gedanken gewandelt ( nicht immer aber immer öfter ) ich dachte mehr und mehr an die schönen Momente die ich mit ihm verbringen durfte, die schönen Erlebnisse, Momente und Augenblicke die ich mit ihm erlebt hatte.
    Dann noch die Schuldgefühle meiner Tochter gegenüber. Sie leidet von uns dreien ( Svenja, Niels seine Mutter Martina und ich ) am meisten.
    Ich habe da noch keine Antwort.
    Fazit:
    Der Jakobsweg ist eine ganz persönliche Angelegenheit zwischen mir, Niels, Gott ( oder wem auch immer ) und meiner Seele. Ich hatte viel Zeit um alles zu überdenken. Loslassen. Einzugestehen. Mein Leben zu überdenken.
    Der Weg hatte mir gezeigt das das Leben auch ohne Niels weitergeht, das die Erde sich trotzdem weiterdreht. Und das wir klarkommen müssen mit dem schrecklichen Ereignis. Damit habe ich zwar noch ein Problem, aber der Anfang ist gemacht.
    Loslassen … hatte auf meinem ersten Camino nicht funktioniert, da war es eher ein weglaufen. Aber auf dem 2. die Via Podiensis und Camino del Norte. Der 2. Camino war länger ich brauchte eben mehr Zeit.
    Auf beiden Wegen hatte ich eine Miniurne mit der Asche meines Sohnes dabei. 2021 werde ich den Camino Frances nochmal laufen und dann die Miniurne in Finisterra dem Ozean übergeben.

    Antworten
    • Lieber Michael,
      ich kann gut verstehen, dass dich der Tod deines Sohnes Niels aus der Bahn geworfen hat…wie kann es auch anders sein. Wenn ein Kind stirbt führt uns das an die äußerste Grenze. Der Tod kann nur hilflos angenommen werden, auch wenn wir uns noch so anstrengen, wir haben dem nichts entgegenzusetzten. Die Welt ist nicht mehr wie sie einmal war und wird es auch nicht mehr sein. Dass du den Tod deines Sohnes gespürt hast ist eine so intensive Erfahrung, die auch Hoffnung geben kann, dass da mehr ist zwischen Himmel und Erde, das wir so gar nicht erfassen können.
      Ein unglaublich mutiger Schritt, dass du dich aufgemacht hast deine Trauer auf dem Jakobsweg zu verarbeiten. Ja, vielleicht war es zunächst ein Weglaufen, doch aus deinen Worten wird deutlich, dass der Weg dich wieder mehr zu dir geführt hat und du die Zeit genutzt hast, dich mit der schrecklichen Situation auseinander zu setzen und eine Veränderung deiner Trauer begonnen hat.
      Eine wunderschöne Idee von dir die Miniurne deines Sohnes in Finisterra dem Ozean zu übergeben – ein heilsames Ritual – dies wird für dich bestimmt nochmals eine intensive Zeit.

      Deine Schuldgefühle sind nachvollziehbar. Ein Suizid hinterlässt gerade für die Familie so viele Fragen, die unbeantwortet bleiben und als Eltern, die ihre Kinder doch beschützen wollen suchen wir meist die Verantwortung bei uns. Hier können wir uns immer nur fragen, ob dies für uns hilfreich ist.
      Vielleicht möchtest du alles was du deinem Sohn so gerne noch sagen möchtest, die Liebe, die Wut, die Fragen ect. aufschreiben und diesen Brief mit der Urne dem Ozean übergeben. Dies kann auch ein Schritt sein, deine Schuldgefühle dem Ozean abzugeben und ein Stück loszulassen.
      Oder du suchst dir einen ruhigen Ort und nimmst dir etwas Zeit. Hier könntest du dir vorstellen, dass dein Sohn neben dir sitzt. Hier kannst du ihm die Fragen stellen, die dich so quälen und ihm das sagen, was du ihm noch sagen möchtest. Wenn du das öfters machst, wirst du für dich vielleicht etwas mehr Ruhe erhalten. Vielleicht sogar ein paar Antworten.
      Dies sind nur Anregungen, spüre selbst, ob sich das für dich gut anfühlt.

      Ich wünsche dir auf deinem Weg, dass sich für dich die Trauer verändern wird und du für dich inneren Frieden finden wirst.

      Von Herzen alles Gute und
      Buen camino
      Simone

      Antworten
    • Lieber Michael,
      auch ich habe vor Jahren einen ähnlichen Traum mit anderen Begebenheiten gehabt. Die Symptome des Erwachens waren gleich. Auch ich habe von einer uns sehr nahestehenden Person geträumt. Die Todesnachricht bekamen wir am dritten Tag nach dem Traum. Das hat auch mein Verständnis für derartige Träume verändert. Ich fürchte mich, von Personen aus meinem Umfeld zu träumen. Inzwischen habe ich noch andere, mein Leben bestimmende Träume gehabt. Zweimal bin ich den Jacobsweg gegangen, 2009 u8nd 2014. Den Ersten von St. Jean nach Santiago und Finistera. Eine Erkenntnis aus meinem bisherigen Leben veranlasste mich, den zweiten Jacobsweg mit einem Besuch in Lourdes zu beginnen. Zu einem Zeitpunkt, als dort eine internationale Soldatenwallfahrt abgehalten wurde. Tief beeindruckt von den Prozessionen, meine Konfession ist evangelisch, und den Erlebnissen, begann ich meinen zweiten Jacobsweg nach Santiago und Finistera. Um eigene Erlebnisse zu verarbeiten und meinen „Lebensweg“ zu bereinigen, ging ich diesen Weg fast ausschließlich alleine. In vielen Kirchen saß ich bei meinem Gebet alleine und konnte diese Stille auf mich im Gebet wirken lassen. Ich glaube an Gott, bin aber nicht übertrieben konfessionell gebunden. Aber ich habe seltsame und sehr merkwürdige Dinge auf diesem zweiten Weg erlebt, die mich veranlassen, diesen Weg noch einmal zu gehen. Inzwischen bin ich 80 Jahre alt geworden und denke, auch aufgrund vieler schlechter Erfahrungen, ich muss diesen Weg der Selbsterkenntnis und Bereinigung der Seele noch einmal gehen. Lieber Michael, heute lese ich Deinen Kommentar. Zufall? In diesem Jahr starb einer meiner besten Freunde mit Namen Michael leider viel zu früh! Sein früher Tod hat mich tief erschüttert. An seiner Beerdigung konnte ich aus gesundheitlichen Gründen leider nicht teilnehmen. Das Zwiegespräch mit Gott läutert die Seele! Allen Pilgern rufe ich ein „buen Camino“ und bleibt gesund zu!

      Antworten
      • Lieber Herr Schröder, grade bin ich komplett neu auf diese Seite gestoßen…. Auf ihren Bericht….. Zufall? , wie sie selber schreiben? Ich bewundere es sehr, dass Sie mit 80 Jahren noch einmal den Jakobsweg gehen möchten und es macht mir Mut, trotz einer eigenen Erkrankung nun endlich den Mut zu fassen meinem langjährigen Traum zu folgen. Danke für ihre Worte und alles Gute. Gott segne Sie
        Vg Brigitte

        Antworten
  5. Noch ein Anhang, ca. 11 Jahre nach meinem 1.Camino in 2010:

    Warum pilgere ich?

    Es ist DIE Frage, die man als Pilger immer wieder gestellt bekommt.
    Die Frage habe ich mir dann auch häufiger gestellt.
    Ist es Neugier, Abenteuerlust, religiöse Motivation?

    Ich selbst bin immer gern gewandert, bin gern in der Natur, bin kulturell interessiert, habe immer nach meinem Weg gesucht und dem Sinn meines Daseins und…. ich hatte ein Problem:
    Meine geliebte Tochter Tanja starb völlig überraschend mit 32 Jahren. Eine sehr bittere, schmerzhafte Erfahrung, die viele Fragen aufwirft und die nur schwer zu ertragen und zu verarbeiten ist.

    Und so machte ich mich auf den Weg, auf meinen 1.Pilgerweg nach Santiago de Compostela, unterwegs auf dem Camino Frances. Schon bald merkte ich, dass Santiago weit war und dass es viel näher lag, meinen Weg zu finden, von Etappe zu Etappe zu denken, Menschen zu begegnen, die mir ihre Geschichten erzählten und mit denen ich meinen „Ballast“ teilen konnte.
    So kam ich zu der oft zitierten Erkenntnis, „der Weg ist das Ziel“. Ich begab mich auf den Weg zu mir selbst, eine großartige Erfahrung.

    Der Alltag war weit weg und der Kopf frei, neuen Gedanken freien Lauf zu lassen.
    Die Banalitäten des Weges standen zunächst im Mittelpunkt, den richtigen Weg finden, für Essen und Trinken zu sorgen, Sehenswürdigkeiten mitzunehmen, Einkehr-möglichkeiten zu finden, das Tagesziel zu definieren und zu erreichen, mein Gepäck zu tragen, manchmal zu ertragen.
    Und im gleichen Rhythmus, wie ich Ballast aus meinem Gepäck wegwarf, so verlor ich auch Ballast aus meiner alltagsgeplagten Seele.

    Das pilgern fiel jeden Tag leichter und es stellte sich eine innere Ruhe und Zufriedenheit ein, auch in schwierigen Situationen. Ich brauche keine Angst zu haben, mich zu verlaufen, kein Quartier zu finden, vor Erschöpfung umzufallen. Es wird sich immer eine Lösung finden, so Gott will.

    Eine neue Gelassenheit, ja eine neue Religiosität fand in mir Platz, ein Gottvertrauen, was ich als Zweifelnder, als stetig Suchender im Leben nie kannte. So lernte ich auch zu akzeptieren, dass meine Tochter wohl nicht mehr leibhaftig bei mir ist, sie aber längst einen Platz in meiner Seele eingenommen hat. Sie ist da, sie kommuniziert mit mir, sie lacht mit mir und gibt mir Ratschläge, denn sie war ein kluges Mädchen. Sie wird mich erwarten, wenn ich meinen Weg zu Ende gegangen bin, dessen bin ich heute sicher.

    So gehe ich meinen Weg weiter, meine Etappen des Lebens, sowie die Etappen auf immer neuen Pfaden des Camino. Ich bin dem Leben heute dankbar, dass ich viele Caminos gehen durfte, dass mir viele Erkenntnisse zuflogen, wenn ich nur genug zuhörte oder in mich hineinhorchte.
    Das ich meinen Frieden mit Gott fand und die WARUM-Frage zum Tode meiner Tochter nicht mehr stellen muss.
    Es sind ja nur noch ein paar Schritte, dann werden wir uns wieder begegnen.

    Aus diesen Gedanken hat sich in mir ein Satz entwickelt, den ich nun schon viele hundert Mal in Kirchen, Klöstern oder in Widmungen hinterlassen habe:

    Wenn Liebe bis in den Tod geht,
    dann ist der Tod das Leben.

    Was für ein wunderbares Ergebnis aus den vielen Erlebnissen und Erfahrungen auf dem Camino, für mich.

    Friedel Stucke

    Antworten
    • Lieber Friedel,
      Danke, dass du uns einen Teil auf deinen Lebensweg mitgenommen hast.
      Danke, dass du uns hast teilhaben lassen an deinen Erkenntnissen, den erfolgten Veränderungen und dem, was du gefunden und abgeworfen hast auf den unterschiedlichen caminos.
      Es ist so wunder-voll zu lesen, wie du für dich Frieden gefunden hast und sich dir ein Weg eröffnet hat, den Tod deiner Tochter zu akzeptieren und sie als Wegbegleiterin weiterhin bei dir ist – einen Platz in deiner Seele gefunden hat, wie du es so schön ausdrückst.
      Wir können nur erahnen, wie schmerzhaft und lang dieser Weg für dich war, doch deine Zeilen zu lesen ist ein Geschenk. Du kannst damit Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden Hoffnung schenken.

      Danke, dass du mit deinen Zeilen, deinem Mut und deinem Weg, uns Allen Hoffnung schenkst – Hoffnung, dass wir Frieden finden können und auch schwerste Situationen irgendwann annehmen können.
      Jeder wird hierfür seinen ganz eigenen Weg finden und gehen.

      Dir lieber Friedel von Herzen alles Gute und
      Buen camino
      Simone

      Antworten
  6. Hallo,
    ich schreib dir diese Nachicht weil, ja weil wir meine Frau, meine Familie, ich in einer der schwehrsten Lebensprüfungen sind die wir uns denken können.

    Wir haben 3 Söhne, unser ältester ist am 16.04.2018 durch einen Motoradunfall (Fahrfehler) verstorben, seitdem ist unser Leben aus den Fugen geraten (Wen wunderts)

    Ich würde sagen, was meine Frau und mich betrifft, sind wir nicht mehr im Lebens sondern im Überlebensmodus. Das Leben zieht einfach weiter. Unser 2 ältester spricht überhaupt nicht drüber und unser Jüngster schon und doch, aber er wird jetzt Papa. :-)

    Warum schreib ich hier?

    Nächstes Jahr geh ich in Rente, dieses Jahr steht noch eine FussOP an, meine Frau muss noch etwa 4 Jahre arbeiten gehen. (Sie kann momentan nie mehr als 1 Woche Urlaub ausser August haben)

    Ich habe mir gedacht einen Camino als Anfang selbst zu machen, der „Camino Portugues“ um zu probieren zu erfahren ob ich wieder zu mir selbst finden kann.

    Dabei müsste ich aber meine Frau zurücklassen, wenn auch nur 2 Wochen.

    1000 Fragen stellen sich mir, soll ich es alleine machen (Das ausgesprochene OK meiner Frau hab ich) ; soll ich die 4 Jahre warten bis auch sie in Rente geht und es zusammen machen.

    Werde ich zusammenbrechen unter der Last meiner Gedanken (Damals lief sehr viel schief)

    usw

    usw.

    Du wirst es gemerkt haben, meine Muttersrache ist nicht Deutsch, darum entschuldige wenns manchmal hakt.

    Auch wenn’s nur ein paar Zeilen hier sind die ich Preisgegeben hab, konnte, kanns du mir sagen was du darüber denkst ?

    Ich wünsch dir (uns allen) alles Gute.
    Danke für deine Zeit.
    Schöne Grüsse

    Edouard

    Antworten
    • Lieber Edouard,
      Danke für dein Vertrauen, deine Offenheit, und dass du uns an deinem Schicksal und das deiner Familie teilhaben lässt.
      Es gibt keine Worte, die auch nur ansatzweise das erfassen und ausdrücken können, was ihr durchgemacht habt. Ich möchte euch mein tief empfundenes Mitgefühl aussprechen.
      Es ist spürbar, in was für einem Leid du und deine Familie seit dem schrecklichen Tod eures Sohnes und Bruders feststeckt.
      Jeder Mensch trauert auf seine Weise und in seiner Zeit. Das Wandern auf dem Jakobsweg ist ein Möglichkeit, um seiner Trauer zu begegnen und sich selbst wieder neu zu finden; seine neue Rolle, seinen neuen Platz einnehmen zu können und für den lieben Verstorbenen ebenfalls einen Platz/Ort zu finden.

      Durch das Laufen kann sich Vieles offenbaren und an manchen Tagen kann die Verzweiflung, Trauer überwiegen, dies kostet unglaublich viel Kraft und kann uns dann an unsere Grenzen bringen- wir können dadurch auch uns und unseren Gefühlen begegnen und damit die Trauer Schritt für Schritt verändern.
      Dies sollte dir bewusst sein. Du kannst dir auch vorab die Freiheit geben, immer aufhören zu dürfen….es gibt letztendlich kein Ziel dass du erreichen musst.

      Da Ehepartner meist unterschiedlich trauern, kann es manchmal hilfreich sein, dass jeder ein Stück des Trauerweges alleine geht. Dies kann eine Chance sein- muss es aber nicht.
      Vielleicht könnte es hilfreich für euch sein, dass jeder von euch sich vorstellt wie es sein könnte, wenn du alleine läufst und deine Frau ist alleine zuhause.…
      Was für ein Gefühl taucht auf…lasst euch hierbei Zeit, und stellt es euch ganz genau vor – in sovielen Einzelheiten wie möglich. Anschließend könnt ihr euch hierüber austauschen und dann könnt ihr gemeinsam entscheiden.

      Vielleicht könnte auch eine Trauergruppe (für verweist Eltern + Geschwister) euch als Familie guttun oder eine systemische Trauerbegleitung, die die ganze Familie sieht und unterstützend dabei wirken kann, dass deine Familie wieder ins Gleichgewicht und jeder seinen neuen Platz finden kann.

      Das wünsche ich dir Edouard und deiner Familie von ganzem Herzen.
      Weiterhin viel Kraft und und Vertrauen.

      Herzlichst,
      Simone

      Antworten
      • Hallo Simone, als erstes danke für deine Antwort,ein paar Jahre sind uns Land gezogen und, hm, nichts ist besser geworden, jedenfalls bei mir. Obwohl wir jetzt einen wunderbaren Enkel haben plus 2 wunderbare Bonusenkelinnen, bin ich ein gebrochener Mann geworden. Gestern bei einem längeren Spaziergang sagte meine Frau aus heiterem Himmel, ich sollte mich jetzt auf meinen Weg machen. Es würde zeit. Vielleicht würde ich ja meinen Frieden finden. Und Ja sie hat recht, im Moment geht es mir (uns) besser wenn’s mir (uns) schlecht geht und wir haben sehr grosse Probleme mit Glücklich sein.So, ich lag die ganze Nacht wach und hab mich entschieden mich körperlich und mental für’s nächste Frühjahr vorzubereiten. Heute ist eigentlich „Day 1“ und ich muss mich auf iergendeinen Weg (Jakobsweg, reise zu mirmachen) um wieder zurückzufinden ins Leben.Ich dank dir sehr für deine Worte und drückt mir die Daumen dass vieles klappt. Euer Ediuard

        Antworten
  7. Mitten in der Nacht schlaflos finde ich diese Internetseite und fühle Dankbarkeit. Danke für alle wertvollen Beiträge hier.
    Ich selber bin seit etwa drei Jahren sehr aus der Bahn geworfen durch eine Erkrankung. Gut 1 Jahr zuvor ist meine Mutter verstorben, ihr Tod war eigentlich eine Erlösung für alle, besonders für sie, nachdem sie 10 Jahre lang schwerst erkrankt gelitten hat und alle mit in vielen Bereichen…..ich habe es noch immer nicht verarbeitet, die Erkrankung ist in meinen Augen Spiegel meiner Seele….Hätte nie gedacht, dass ich seit dem so extrem empfindlich bin mit allem was mir den Weg kreuzt….. Schon seit vielen Jahren träume ich einmal „den“ Jakobsweg zu gehen. Corona hat mich, wie viele davon dieses Jahr abgehalten es endlich zu tun. Aber ich durfte 1 Woche innerhalb Deutschlands gehen. Das war ein Riesen Geschenk.
    Grade befinde ich mich wieder in einer tief Phase und finde diese Seite. Danke dafür. Allen auf ihrem Weg alles gute und Gottes Segen
    lg Brigitte

    Antworten
  8. Hallo, eine schöne Seite die ermutigt und Kraft spendet.
    Auch ich habe eine sehr sehr wichtige Person plötzlich verloren, (- hatte es seltsamerweise Weise auch in der Nacht geträumt und bin weinend aufgewacht deshalb; / fand ich in anderen Beiträgen interessant auch zu lesen) und bin deshalb den Camino del Norte gelaufen. An jedem Tag hat mich diese Person gedanklich zwar begleitet, aber die Trauer überkam mich unerwartet nachdem ich bereits Wochen unterwegs war. Auf dieser Etappe waren seltsamerweise kaum Pilger unterwegs. Im Nachhinein wusste ich auch warum: es war eine trostlose Strecke an einem Industriegebiet vorbei. Plötzlich überkam mich so das Gefühl der Einsamkeit weil dieser liebe Mensch nie mehr bei mir sein wird, ich ihn nicht umarmen kann, mit ihr lachen kann, dass ich ca eine Stunde lang die Tränen laufen ließ. Es war wie ein Gespräch zwischen mir und „der anderen Welt“, es war sehr heilsam. Es hat mich zwar erschöpft, aber das musste sein und war schon längst überfällig. Irgendwann hat dich dieser Weg :-). Ich kann alle nur ermutigen diesen Weg zu gehen. Irgendwo hab ich einmal gehört, dieser Weg nimmt dir zunächst alle Kraft und schenkt sie dir am Ende tausendfach zurück. So ist es.

    Antworten
  9. Nachdem ich all diese Berichte gelesen haben traue auch ich mich ein paar Zeilen zu schreiben. Dinge rauszulassen die ich sonst eher für mich behalte.
    Auch wir haben zwei von vier Kindern verloren. Unsere Tochter Lisa am Tag ihrer Geburt und unseren Sohn der mit 2 Jahren an Leukämie erkrankte und mit 7 Jahren an einem Hirntumor starb. Es folgten Trauerseminare und als Folge des Verlustes stürzte ich mich in die Arbeit. Mein Vertrauen und der Glaube an Gott ging verloren. Viele Jahre vergingen, nun bin ich im Ruhestand . Im Januar beschloss ich den Jacobsweg zu gehen um oben im Kasten mal aufzuräumen. Im April 2022 ging es los.
    In den Pyrenäen fand ich ein kleines silbernes Kreuz auf dem Weg, steckte es ein, maß ihm aber keine Bedeutung zu.
    In Los Arcos besuchte ich die Kirche um wie immer 2 Kerzen anzuzünden. Ich war den ganzen Tag durch Regen gelaufen, ein wolkenverhangener Tag.
    Als ich nach vorn zum Altar ging, stand dort ein kleines silbernes Kreuz. Während ich es betrachtete schien die Sonne plötzlich kurz durch ein gegenüberliegendes Fenster weit oben in der Kirche und brachte das Kreuz zum erleuchten. Das passierte genau zweimal, dann war wieder Dämmerlicht. Ich brach in Tränen aus, warum auch immer. Eine Mitpilgerin sah das, nahm mich in Arm und gab mir stumm Trost. Auf der Empore stand eine Pilgerin , machte ein Bild von der skurrilen Situation und gab es mir ein paar Tage später. Mein schönstes Bild vom Camino. Was ich sagen will, Gott ist mir wieder näher.
    PS. Jeder hat die Chance mit sich und der Welt ins Reine zu kommen, man muss es nur zulassen.
    In diesem Sinne, Buen camino

    Antworten
  10. Meine Frau ist vor sechs Wochen verstorben. Nach zweiundfünzig Ehejahren. Ich vermisse sie sehr. Zum Glück unterstützen mich unsere beiden Kinder. Auch mein Glaube gibt mir Kraft. Im Jahr vor unserer Silberhochzeit sind meine Frau und ich den Jakobsweg gegangen. Aus Dankbarkeit für 25 gemeinsame Jahre die wir zusammen sein durften. Wie in jeder Ehe, denke ich, mit Höhen und Tiefen. Schon damals sagte meine Frau am Apostelgrab daß sie wohl nicht noch einmal diesen Weg gehen würde. So ist es auch gekommen. Zwei Hüftoperationen mit der Implantierung künstlicher Hüftgelenke haben den Wunsch noch einmal zusammen den Weg zu gehen unmöglich gemacht. Dafür bin ich den Weg zu meinem 50. Geburtstag und in einem heiligen Jahr gegangen. In Kürze werde ich mich wieder auf den Weg machen. Zumindest die letzten 300 km. Wie immer an „unserem“ Ginsterbusch im Bierzo kurz Halt machen, sich erinnern. (Habe jedesmal wenn ich unterwegs war, diesen Busch fotografiert und dieses Bild für meine Frau mitgebracht). Vielleicht lerne ich auf meinem neuerlichen Weg loszulassen. Hoffentlich wird es ein Abschied nehmen und keine Flucht aus der Realität.
    Mit den anderen Menschen die hier geschrieben haben, ähnliches oder gar schlimmeres erlebt haben fühle ich mich verbunden.
    Liebe Grüsse Willy

    Antworten
  11. Meine Frau hat sich vor 4 Jahren das Leben genommen .Ein Jahr vorher sind wir gemeinsam den Camino Portugues gelaufen. Den gleichen Camino habe ich jetzt mit meinem Sohn gemacht. Wir sind Ende letzter Woche in Santiago angekommen. Es war eine sehr emotionale Reise für uns beide ,aber es hat geholfen die Trauer besser zu ertragen und ich spüre eine gewisse Art von Versöhnung und Erleichterung.
    LG Thomas

    Antworten

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