Lebensweg
Der leise Mut des Loslassens
Loslassen lernen beginnt dort, wo Kontrolle endet. Peter Kirchmann nimmt dich mit auf den Jakobsweg – zu Momenten der inneren Transformation, zu Atem, Vertrauen und Leichtigkeit. Eine Einladung, Ballast abzugeben und den Weg wieder zu spüren.
Passende Podcastfolge zum Thema:
Eine Einladung, dem Leben wieder zu vertrauen.
Loslassen – ein Wort, das wir oft hören, aber selten wirklich verstehen.
Wir sprechen davon, als wäre es eine Handlung. Etwas, das man beschließen kann.
Doch wer einmal mitten in einem Übergang stand – zwischen alter Verantwortung und neuem Weg, zwischen Kontrolle und Vertrauen –, der weiß: Loslassen geschieht leise. Es ist kein Plan, keine Technik, keine Entscheidung. Es ist ein Geschehen.
Ich habe das auf dem Jakobsweg erfahren. Und auch in meinem Leben als Führungskraft. Zwei Welten, die auf den ersten Blick verschieden scheinen, aber tief im Inneren denselben Rhythmus tragen. Beide fordern uns heraus, Kontrolle abzugeben. Beide schenken uns Momente, in denen wir spüren: Es geht leichter, wenn wir weniger festhalten.
Was Loslassen wirklich bedeutet
Viele Menschen wollen Loslassen lernen, aber kaum jemand versteht, dass Loslassen kein Tun ist, sondern ein Zulassen.
Wir versuchen, alte Gedanken loszuwerden, Beziehungen zu klären, Erinnerungen zu ordnen. Wir kämpfen, um frei zu sein – und binden uns dabei nur stärker.
Loslassen geschieht, wenn etwas in uns reif wird.
Wenn wir erkennen, dass ein Gedanke, eine Rolle oder eine Verantwortung seine Zeit gehabt hat.
Es ist wie das Fallenlassen eines Blattes im Herbst. Der Baum entscheidet nicht. Er spürt nur: Jetzt darf es gehen.
Loslassen bedeutet, dem Leben zu vertrauen.
Es bedeutet, inmitten von Unsicherheit zu stehen und zu sagen: Ich weiß es gerade nicht, aber ich gehe trotzdem weiter.
„Manchmal beginnt Freiheit nicht mit einem großen Entschluss, sondern mit einem leisen Einverständnis.“
Der Jakobsweg als Lehrer für Leichtigkeit
Auf dem Jakobsweg lernst du, was Ballast wirklich heißt.
Jeder Stein im Rucksack, jedes überflüssige Gramm erinnert dich daran, wie sehr wir im Alltag oft zu viel tragen.
Beim Gehen spürst du irgendwann: Die Dinge, die du mitschleppst – materiell oder innerlich – bestimmen dein Tempo.
Ich erinnere mich an eine Etappe hinter Castrojeriz. Die Sonne stand tief, der Wind kam von vorn, und mein Rucksack fühlte sich an, als hätte er sich über Nacht verdoppelt.
Irgendwann blieb ich stehen, nahm ihn ab, und in dieser Bewegung lag alles.
Nicht nur körperliche Entlastung. Sondern auch ein symbolischer Moment.
Ich ließ etwas los, das längst zu schwer geworden war.
Der Weg zwingt dich nicht zum Loslassen. Er führt dich dorthin.
Mit jedem Schritt. Mit jedem Atemzug.
Bis du plötzlich merkst, dass du leichter gehst.
Führung und Verantwortung – wenn Halten zur Last wird
Auch im Berufsleben tragen wir vieles. Verantwortung. Entscheidungen. Erwartungen.
Wir glauben, Stärke zeige sich darin, alles im Griff zu haben. Doch wahre Stärke liegt oft im Gegenteil: im Vertrauen, dass Dinge sich fügen, wenn wir Raum geben.
Als Geschäftsführer habe ich erlebt, wie schwer es fällt, loszulassen. Ein Team, ein Projekt, eine gewohnte Rolle.
Doch immer dann, wenn ich den Griff etwas lockerte, geschah etwas Unerwartetes.
Klarheit. Bewegung. Leben.
Loslassen in der Führung bedeutet nicht, Kontrolle aufzugeben.
Es bedeutet, Vertrauen zu schenken.
Menschen, Prozessen, dem eigenen Instinkt.
Wer führen will, muss auch leiten können, wenn er nicht alles weiß.
Und genau hier beginnt Transformation.
„Der Weg lehrt dich zu tragen. Und er lehrt dich, abzugeben. Beides gehört zur Wahrheit.“
Die Kunst, den richtigen Moment zu spüren
Viele fragen: Woran erkenne ich, dass es Zeit ist, loszulassen?
Die Antwort liegt selten im Kopf.
Sie zeigt sich im Körper.
In der Müdigkeit. In der Spannung. In dem Gefühl, dass etwas an Bedeutung verliert.
Wenn du Loslassen lernen willst, beginne damit, auf diese leisen Signale zu achten.
Sie sind Wegweiser.
Manchmal genügt ein einziger Atemzug, um zu spüren, dass etwas sich löst.
Nicht mit einem Knall, sondern in einem kaum merklichen Schwingen.
Das Leben hat seine eigene Taktung.
Wenn du zuhörst, führt es dich genau dorthin, wo du bereit bist, leichter zu werden.
Innere Bilder des Loslassens
Loslassen hat viele Gesichter.
Manchmal ist es der Moment, in dem du nach einer langen Etappe die Schuhe ausziehst.
Oder die Stille, nachdem du etwas ausgesprochen hast, das lange in dir war.
Manchmal ist es nur ein Blick in die Weite, in dem du dich selbst erkennst – kleiner, aber freier.
Diese Bilder bleiben.
Sie werden zu inneren Erinnerungen, die du später abrufst, wenn das Leben dich wieder festhält.
Loslassen bedeutet, anzuerkennen, dass alles, was du bist, sich ständig verändert.
Du wirst nicht weniger. Du wirst wahrer.
Loslassen lernen – praktische Impulse für deinen Weg
Viele suchen nach einer Methode, um Loslassen zu lernen.
Es gibt keine Technik, aber es gibt Wege, die dich öffnen können.
1. Atme bewusst
Beobachte, wie du atmest.
Ein tiefer Atemzug schafft Raum. Er löst Spannung, ohne dass du etwas tun musst.
2. Sprich aus, was du festhältst
Manchmal reicht ein Satz.
Ein ehrliches Wort zu dir selbst: Das darf gehen.
3. Geh in Bewegung
Bewegung bringt das Innere in Fluss.
Ein Spaziergang, ein Pilgerweg, ein stiller Moment in der Natur.
Das Gehen löst, was Worte oft festhalten.
4. Vertraue dem Prozess
Loslassen ist kein Projekt.
Es ist ein Weg, auf dem du Schritt für Schritt leichter wirst.
5. Beobachte ohne Urteil
Wenn alte Gedanken auftauchen, sieh sie an, ohne sie zu bewerten.
Jede Erinnerung will nur gesehen werden. Danach zieht sie weiter.
„Loslassen lernen heißt, dem Leben wieder zuzuhören.“
Tagebucheintrag aus dem Jakobsweg
Ich schreibe diesen Abschnitt aus der Erinnerung an einen späten Nachmittag in Galicien.
Es roch nach feuchter Erde, nach Eukalyptus. Ich hatte den ganzen Tag über überlegt, was ich loslassen müsste, um wieder freier zu gehen.
Und dann kam dieser Satz:
Ja, Loslassen fordert uns heraus, kostet Mut und Kraft. Doch der schwere Rucksack der Vergangenheit wiegt weit mehr. In dem Moment, in dem du die Last ablegst, breitet sich eine Leichtigkeit in dir aus, die dich aufatmen lässt und deine Schritte beflügelt.
Ich habe diesen Text später in mein Tagebuch geschrieben.
Und heute verstehe ich ihn erst richtig.
Loslassen ist kein Verlust. Es ist der Moment, in dem das Leben wieder durchatmet.
Zitat aus dem Jakobsweg-Kalender 2026
„Je mehr du den alten Ballast loslässt, desto leichter kommst du voran.“
Dieses Zitat stammt aus unserem Jakobsweg-Kalender 2026 – ein Jahresbegleiter, der dich mit Bildern, Impulsen und Raum für eigene Gedanken durch dein Jahr trägt.
Er erinnert dich daran, dass Loslassen kein einmaliger Moment ist, sondern eine tägliche Einladung.
Schlussgedanke
Loslassen lernen ist kein Ziel. Es ist eine Haltung.
Eine, die dich begleitet – auf dem Camino, in der Führung, im Leben.
Wenn du spürst, dass du bereit bist, leichter zu gehen,
dann vertrau dem Weg.
Er führt dich dorthin, wo du nichts mehr halten musst,
weil du angekommen bist – bei dir.
Buen Camino
Peter
